Der VII. Zivilsenat hat sich mit der Benachteiligungswirkung einer Kündigung nach § 4 Nr. 7 S. 3 VOB/B (2002) i. V. m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 Var. 1 VOB/B (2002) im Sinne der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB befasst (BGH, Urteil vom 19. Januar 2023 – VII ZR 34/20).
So heißt es im amtlichen Leitsatz:
„Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 S. 3 VOB/B (2002) ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 S. 3 i. V. m. § 8 Nr. 3 I 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen i. S. d. § 307 I 1, II Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.“
Sachverhalt
Die Beklagte war Hauptauftragnehmerin hinsichtlich eines Teils des Ausbaus der Stadtbahnlinie der S-GmbH. Mit den entlang der Stadtbahntrasse durchzuführenden Straßen- und Tiefbauarbeiten beauftragte die Beklagte im Jahr 2004 die Klägerin als Nachunternehmerin. Die Parteien unterzeichneten hierzu im Oktober 2004 ein Verhandlungsprotokoll, durch das unter anderem auch die VOB/B in der jeweils geltenden Fassung in den Vertrag einbezogen wurde. Die Auftragssumme belief sich auf etwa 3 Mio. EUR netto.
Streitgegenständlich zwischen Parteien war, ob sich die geschuldete Betonfestigkeitsklasse B 25 (entspricht der neuen Bezeichnung C-20/25) auf den Beton im angelieferten oder im verbauten Zustand bezieht.
Während der Bauausführung rügte die Beklagte u.a. am 03.08.2006 die Qualität des verbauten Betons an einem bestimmten Straßenabschnitt und verlangte von der Klägerin unter Fristsetzung eine Mangelbeseitigung. Für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs kündigte sie die außerordentliche Kündigung des ganzen oder eines Teils des Auftrags sowie die Mangelbeseitigung auf Kosten der Klägerin an.
Die Klägerin kam dem Verlangen nach Beseitigung der behaupteten Mängel, welche mit einem Aufwand von ca. 6.000 EUR zu beziffern waren, nicht nach. Die Beklagte kündigte nach Fristablauf am 18.8.2006 den Bauvertrag hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht erbrachten Arbeiten.
Die Parteien fordern nicht nur Geldentschädigungen in Form von Restwerklohn und Kosten der Ersatzvornahmen, sondern begehren zudem die Feststellung durch Zwischenfeststellungsurteil, dass die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) (Antrag der Kl.) beziehungsweise eine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund (gem. § 8 Nr. 3 VOB/B aF) (Antrag der Bekl.) gewesen sei.
Nunmehr befasste sich der BGH mit der Streitigkeit.
Rechtliche Bewertung
Möglichkeit einer Inhaltskontrolle einzelner VOB/B-Regelungen
Für den BGH stellte sich zunächst die Frage nach der Zulässigkeit einer Inhaltskontrolle des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002). Die Klauseln der VOB/B sind grundsätzlich als vorformulierte Vertragsbedingungen unter die Allgemeinen Geschäftsbedingungen i. S. d. § 305 I 1 BGB zu subsumieren. § 310 Abs. 1 S. 3 BGB verleiht dem Klauselwerk jedoch eine Privilegierungshaltung. Demnach unterliegt die VOB/B nicht den Regelungen nach §§ 307-309 BGB, wenn diese als Ganzes, also ohne inhaltliche Abweichungen, vereinbart wurde.
Im entschiedenen Fall war es so, dass die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart wurde. Schon im Jahr 2004 hatte der BGH (Urteil vom 22. 1. 2004 – VII ZR 419/02) bestimmt, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, ob sie erheblich ist oder nicht. Eine substanzielle Abänderung der VOB/B ist mithin nicht erforderlich. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen vorliegen.
Klauselverständnis des § 4 Nr. 7 S. 3 VOB/B (2002)
Grundsätzlich enthält § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 Var. 1 VOB/B (2002) nicht selbst einen Kündigungsgrund, sondern greift rückbeziehend das in § 4 Nr. 7 S. 3 VOB/B (2002) tatbestandlich geregelte Kündigungsrecht auf. Der Auftraggeber kann demnach den Vertrag kündigen, wenn im Falle des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) die dem Auftragnehmer gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist. Dabei sieht § 4 Nr. 7 S. 1 VOB/B (2002) vor, dass der Auftragnehmer Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen hat. Kommt der Auftragnehmer dieser Pflicht zur Mangelbeseitigung nicht nach, kann ihm gem. S. 3 der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Entfernung setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe. Da der BGH im entschiedenen Fall die Privilegierungswirkung der VOB/B mangels Einbezuges als Ganzes aufgrund inhaltlicher Abweichung verneint, führt dies dazu, dass eine Inhaltskontrolle durchführbar ist und folglich der BGH die Klausel auf ihre Unangemessenheit i. S. d. § 307 BGB überprüft.
Der BGH legte hierbei ein Klauselverständnis nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zugrunde.
Demnach lässt sich von einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners ausgehen, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist. Dabei ist gemäß § 305c Abs. 2 BGB immer die kundenfeindlichste Auslegung zugrunde zu legen. Nach den Feststellungen des BGH ist damit § 4 Nr. 7 S. 3 i. V. m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 Var. 1 VOB/B (2002) dahingehend auszulegen, wonach schon bei ganz geringfügigen und unbedeutenden Vertragswidrigkeiten oder Mängeln die Kündigung aus wichtigem Grund eröffnet ist.
Die Kündigungsregelung des VOB/B vor Abnahme des Werkes weicht damit gerade von dem gesetzlichen Leitbild einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund und den wesentlichen Grundgedanken des Klauselverständnisses ab.
Nach Auffassung des BGH kann der Auftraggeber während der Ausführungsphase unabhängig von diesen Kriterien bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs von der Kündigung Gebrauch machen, auch wenn die Vertragswidrigkeit oder der Mangel nur geringfügig ist.
Die Kündigungssanktion konnte also nach bisheriger Regelung uneingeschränkt bei jeder Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit und auch außerhalb der Feststellung eines wesentlichen oder unwesentlichen Mangels greifen.
Vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase kann im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen.
Kündigungsmöglichkeit des § 648a BGB
Zu betrachten ist aber insoweit, dass eine Wirksamkeit der Kündigung sich durchaus ergeben kann, wenn die Kündigungsumstände als wichtiger Grund i. S. d. § 648a BGB verstanden werden können. Danach können beide Vertragsparteien den Vertrag aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann. Dann ergebe sich die Begründung gerade nicht aus der VOB/B, die unwirksam zur Anwendung ist, sondern aus dem BGB.
Von einer Aufzählung einzelner Kündigungstatbestände wie in § 8 VOB/B wurde vom Gesetzgeber bei der Kündigung nach § 648a BGB abgesehen. Stattdessen wurde eine allgemeine Formulierung gewählt. Der Hinweis auf die „Zumutbarkeit“ verdeutlicht jedoch, dass eine Kündigung nur in Ausnahmefällen vorgenommen werden soll.
Im vorliegenden Fall war jedoch eine Begründung nicht in der nötigen Form möglich. Oftmals spielt es, so auch der BGH, dann keine Rolle, weil gerade die Zugrundlegung des § 4 Abs. 7 VOB/B bei einer Kündigung dafürspricht, dass nicht „mehr“ vorhanden ist – meist sind die Mangelleistungen sehr gering, auf die sich dann gestützt wird – so auch in diesem Fall, weshalb ein Missverhältnis zur Gesamtleistung vorliegt und eine außerordentliche Kündigung nach § 648a BGB scheitert.
Alleinige Wirksamkeit des § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/B (2002) möglich
Nach dem BGH behält jedoch § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/B (2002) im Übrigen seine Wirksamkeit, wenn die Regelung nicht auf § 4 VII VOB/B bezogen ist. Die Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/B (2002) könne daher ohne Weiteres gestrichen werden, ohne dass die Klausel in § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/B (2002) insgesamt ihren Sinn verlieren würde.
Fazit
Der BGH hat ein Urteil gefällt, welches aufgrund der textgleichen Regelung des § 4 Nr. 7 S. 3 VOB/B, auch für die derzeitige Fassung des VOB/B (2016) gilt. Seine Gültigkeit erstreckt sich somit auch auf alle aktuellen VOB/B-Verträge.
Eine Kündigung des Auftraggebers unter Verwendung des § 4 Nr.7 S.3 VOB/B kommt nun rechtssicher nur noch in Betracht, wenn die VOB/B als Ganzes Bestandteil des Vertragsverhältnisses wurde oder der Auftragnehmer der Verwender ist. Gerade dies ist allerdings schwer umsetzbar, sofern die Parteien auch nur geringe Individualisierungen wünschen, denn jede individual vereinbarte Änderung der VOB/B-Bestimmungen – was grundsätzlich möglich ist – lässt die Privilegierungswirkung des § 310 Abs.1 S.3 BGB entfallen und eröffnet eine vollumfängliche Prüfung der VOB/B Regelungen anhand der AGB-Normen im BGB.
Im Übrigen bleibt die Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund nur unter den Voraussetzungen bestehen, wenn weitere Umstände dazukommen, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Das Vorliegen einer mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung reicht allein nicht mehr aus. Vielmehr darf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses den Parteien nicht mehr zugemutet werden können.
Es empfiehlt sich daher stets eine gründliche Prüfung der VOB/B-rechtlichen Vertragsdokumente auf Klauseln im Hinblick auf mögliche Unwirksamkeiten i. S. d. Inhaltskontrolle und insbesondere bei einer außerordentlichen Kündigung eine intensive Prüfung des verwendeten Kündigungsgrundes.
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