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Gleichheit bei Nachtzuschlägen: Ein wegweisendes Urteil des BAG


BAG, Urteil vom 21.08.2024, Az.: 10 AZR 504/20

Nachtarbeit stellt für viele Arbeitnehmer eine besondere Belastung dar, die in der Regel durch gesetzliche oder tarifvertragliche Zuschläge ausgeglichen wird. Doch was passiert, wenn unterschiedliche Zuschläge für Nachtarbeit innerhalb und außerhalb eines Schichtsystems vorgesehen sind? Diese Frage beschäftigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem aktuellen Fall, in dem ein Arbeitnehmer eine Gleichbehandlung bei Nachtzuschlägen einforderte.

Der Fall

Der Kläger war zwischen November 2018 und April 2019 in einem Werk für Kaffeekapseln beschäftigt. Er arbeitete im Wechselschichtsystem und leistete regelmäßig Nachtarbeit zwischen 22:00 und 06:00 Uhr. Für diese Nachtschichten erhielt er einen Zuschlag von 25 % seines Stundenlohns. Dieser Zuschlag entsprach den tarifvertraglichen Regelungen für Nachtarbeit im Schichtsystem. Der Kläger argumentierte jedoch, dass ihm ein höherer Zuschlag zustehe. Laut Tarifvertrag erhielten Arbeitnehmer, die Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems verrichteten, einen Zuschlag von 50 %.

Der Kläger hielt diese Unterscheidung für ungerechtfertigt und berief sich auf den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG). Aus seiner Sicht gab es keine sachlichen Gründe, die eine niedrigere Vergütung für Nachtarbeit in Schichtsystemen rechtfertigten. Daher verlangte er die Nachzahlung der Differenz zu den höheren Zuschlägen, die für Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen galten.

Das Urteil des BAG

Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger weitgehend Recht und hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern teilweise auf. Es änderte außerdem die Entscheidung des Arbeitsgerichts Schwerin ab. Das Urteil umfasst drei wesentliche Punkte:

  1. Anspruch auf den höheren Zuschlag: Das BAG entschied, dass der Kläger Anspruch auf den höheren Zuschlag von 50 % für seine Schichtarbeit hat. Die tarifliche Regelung, die eine Differenzierung zwischen Nachtarbeit in Schichtsystemen und außerhalb von Schichtsystemen vorsieht, wurde als gleichheitswidrig eingestuft. Laut Gericht verstößt diese Unterscheidung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, da sie nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Alle Arbeitnehmer, die Nachtarbeit leisten, sind in ähnlicher Weise belastet und haben daher Anspruch auf die gleiche Vergütung.
  2. Kein Abzug durch Schichtfreizeiten: Der Anspruch auf den höheren Nachtzuschlag darf nicht durch Schichtfreizeiten reduziert werden. Der Kläger hatte für seine Schichtarbeit bereits Freizeitausgleich erhalten, doch dies änderte nichts an seinem Anspruch auf den vollen, höheren Zuschlag von 50 %. Das BAG stellte klar, dass Zuschläge und Freizeitausgleich unabhängig voneinander zu betrachten sind.
  3. Anspruch auf Verzugszinsen: Der Kläger hat zudem Anspruch auf Verzugszinsen für die ausstehenden Nachtarbeitszuschläge. Diese Zinsen sind ab dem Tag fällig, der auf den ursprünglichen Zahlungstermin folgt. Damit stellte das Gericht sicher, dass dem Kläger nicht nur die Nachzahlung, sondern auch ein angemessener Ausgleich für die verspätete Auszahlung gewährt wird.

Die Folgen des Urteils

Das Urteil des BAG führte dazu, dass der Kläger insgesamt 794,05 Euro brutto nebst Verzugszinsen erhielt. Doch die Bedeutung der Entscheidung reicht weit über den individuellen Fall hinaus. Es setzt ein wichtiges Signal für die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern, die unter ähnlichen Arbeitsbedingungen tätig sind.

Das BAG machte deutlich, dass tarifvertragliche Regelungen, die Arbeitnehmer in vergleichbaren Situationen ungleich behandeln, nicht mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind. Dies ist insbesondere bei Zuschlägen für Nachtarbeit relevant, da diese für viele Beschäftigte eine zentrale Komponente ihrer Entlohnung darstellen. Durch die Entscheidung wird sichergestellt, dass alle Arbeitnehmer, die Nachtarbeit leisten, unabhängig vom Arbeitsmodell (Schicht- oder Nicht-Schichtarbeit) einen angemessenen Ausgleich für die besonderen Belastungen erhalten.

Fazit: Schutz der Arbeitnehmerrechte

Das Urteil des BAG unterstreicht die Bedeutung der Gleichbehandlung in der Arbeitswelt und schützt die Rechte von Arbeitnehmern auf faire Vergütung. Es verdeutlicht, dass Arbeitgeber und Tarifparteien bei der Gestaltung von Regelungen zur Nachtarbeit sorgfältig darauf achten müssen, dass keine ungerechtfertigten Unterschiede entstehen. Für Arbeitnehmer bedeutet das Urteil, dass sie sich auf den Gleichheitssatz berufen können, um faire Bedingungen einzufordern.

Diese Entscheidung stärkt nicht nur die Rechte von Schichtarbeitern, sondern könnte auch als Präzedenzfall für andere Bereiche dienen, in denen ähnliche Ungleichbehandlungen bestehen. Arbeitgeber sollten ihre tariflichen Regelungen im Hinblick auf diese Entscheidung überprüfen, um mögliche Konflikte zu vermeiden.

Sie brauchen selbst Unterstützung?

Arbeitgeber sollten prüfen, ob ihre Zuschlagsregelungen rechtssicher sind, um mögliche Nachzahlungen zu vermeiden.

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